Bundeswaldgesetz: Reform oder Altbewährtes?
Fast fünf Jahrzehnte hat das Bundeswaldgesetz mittlerweile auf dem Buckel. In ihrem Koalitionsvertrag nahm sich die Ampel-Regierung 2021 deshalb vor, das relativ schlanke Gesetz von 1975 für aktuelle Herausforderungen wie den Klimawandel fit zu machen. Wie steht es nun, knapp drei Jahre später, um dieses Vorhaben? Und wie sollte eine Novelle des Bundeswaldgesetzes aus Sicht von Forstleuten und Waldbewirtschaftern aussehen? Eine Bestandsaufnahme.
INHALTSVERZEICHNIS:
- Das Bundeswaldgesetz von 1975: Inhalt und Bedeutung
- BWaldG als Mantelgesetz: Was bedeutet das eigentlich?
- Reform des Bundeswaldgesetzes 2024: Gründe und Diskussionen
- Die Position des Landeswaldverbands
- Ausblick: Kommt ein neues Bundeswaldgesetz?
Gerade im Wald werden die Folgen der Klimakrise sichtbar. Gleichzeitig ist er für das Erreichen unserer Klimaschutzziele unerlässlich. Durch einen gezielten Waldumbau müssen artenreiche und klimaresiliente Wälder mit überwiegend standortheimischen Baumarten geschaffen werden. Die Waldbewirtschaftung spielt dabei eine wichtige Rolle. Entsprechend dieser Ziele novellieren wir das Waldgesetz.
Quelle: Koalitionsvertrag von SPD, Bündnis 90 / Die Grünen und FDP (2021) – 3.2 Umwelt- und Naturschutz
Das Bundeswaldgesetz von 1975: Inhalt und Bedeutung
Das Bundeswaldgesetz wurde am 2. Mai 1975 von der sozialliberalen Koalition unter Helmut Schmidt verabschiedet. Zuständig war damals das von Josef Ertl (FDP) geleitete Landwirtschaftsministerium. Das bis heute gültige Bundeswaldgesetz ist eindeutig Kind seiner Zeit – im positiven Sinne. Es entstand im selben Zeitraum wie das Tierschutzgesetz (1972) oder das Bundesnaturschutzgesetz (1976) und ist Ausdruck eines gestiegenen Umweltbewusstseins in der Bevölkerung.
Dabei berücksichtigt das Bundeswaldgesetz jedoch bereits die vielfältigen Waldfunktionen und geht über den reinen Schutz bestehender Wälder hinaus. Die Ziele des Bundeswaldgesetzes werden in BWaldG § 1 Gesetzeszweckfolgendermaßen definiert:
- Erhaltung des Waldes wegen seiner vielfältigen Funktionen
- Förderung der Forstwirtschaft
- Ausgleich zwischen den Interessen der Allgemeinheit und den Belangen der Waldbesitzer
Zudem unterteilt das BWaldG die Waldfunktionen den unterschiedlichen Interessen der verschiedenen Akteure entsprechend.
Nutzfunktion für die Waldwirtschaft | Schutzfunktion für die Umwelt | Erholungsfunktion für die Bevölkerung |
---|---|---|
Nachhaltige Holzproduktion und Arbeitsplätze im ländlichen Raum | Klimaschutz, Wasserspeicherung, Erhalt der Biodiversität | Allgemeine Zugänglichkeit des Waldes für Freizeit und Erholung |
Um diese Waldfunktionen langfristig zu erhalten und zu fördern, sieht das Bundeswaldgesetz die ordnungsgemäße und nachhaltige Bewirtschaftung der Wälder als Grundpfeiler. Es bildet bis heute die Grundlage für eine ausgewogene und nachhaltige Waldpolitik in Deutschland.
BWaldG als Mantelgesetz: Was bedeutet das eigentlich?
Das Bundeswaldgesetz (BWaldG) nimmt als Mantelgesetz eine besondere Stellung in der deutschen Gesetzgebung ein. Mantelgesetze geben einen Rahmen vor, während Vollgesetze detaillierte Regelungen für das ganze Bundesgebiet festlegen.
Rahmengesetzgebung und regionale Flexibilität
Das BWaldG legt als Rahmengesetz bundesweit gültige Grundsätze fest. Es definiert übergeordnete Ziele und Prinzipien für den Schutz und die Bewirtschaftung der deutschen Wälder. Gleichzeitig räumt es den Bundesländern erheblichen Spielraum für eigene, detailliertere Regelungen in ihren jeweiligen Landeswaldgesetzen ein.
Diese Struktur berücksichtigt die große Vielfalt der deutschen Waldlandschaften. Wälder wie der Thüringer Wald, der Spessart und der Schwarzwald unterscheiden sich erheblich in ihrer Zusammensetzung, ihren ökologischen Bedingungen und den daraus resultierenden Bewirtschaftungsanforderungen. Das BWaldG ermöglicht es den Ländern, auf diese regionalen Besonderheiten mit passenden Landeswaldgesetzen zu reagieren.
Zusammenspiel mit Landeswaldgesetzen
Die Landeswaldgesetze der 16 Bundesländer konkretisieren und ergänzen die Vorgaben des BWaldG. Sie können zum Beispiel strengere Regelungen festlegen oder zusätzliche Aspekte berücksichtigen, die für das jeweilige Bundesland von besonderer Bedeutung sind. Dieses Zusammenspiel gewährleistet einerseits einen bundesweiten Mindeststandard und ermöglicht andererseits maßgeschneiderte Lösungen für regionale Herausforderungen.
Die Struktur als Mantelgesetz fördert einen dezentralen Ansatz in der Waldpolitik. Sie erlaubt es, lokales Fachwissen und regionale Erfahrungen direkt in die Landesgesetzgebung einfließen zu lassen. Gleichzeitig stellt sie sicher, dass übergeordnete nationale Ziele, wie etwa der Klimaschutz oder die Erhaltung der Biodiversität, in allen Bundesländern Berücksichtigung finden.
Diese föderale Struktur kann auch Herausforderungen mit sich bringen, etwa wenn es um die Koordination überregionaler Maßnahmen oder die einheitliche Umsetzung von EU-Richtlinien geht. Hier ist oft ein intensiver Dialog zwischen Bund und Ländern erforderlich.
Reform des Bundeswaldgesetzes 2024: Gründe und Diskussionen
In den 1970er-Jahren gab es bereits ein grundlegendes Verständnis für die Verwundbarkeit unserer Ökosysteme. Das zeigen die verschiedenen Gesetzgebungen, die allein die deutsche Bundesregierung in diesem Zeitraum zum Schutz der Umwelt auf den Weg brachte. Wenig erforscht waren damals jedoch zum Beispiel die globale Erwärmung und ihre weitreichenden Auswirkungen.
Klimawandel & Biodiversitätskrise als Haupttreiber der Reform
Der Klimawandel hat massive Auswirkungen auf unsere Wälder. Extremwetterereignisse wie Trockenheit, Stürme und Starkregen nehmen zu und setzen den Wald-Ökosystemen zu. Gleichzeitig begünstigen höhere Temperaturen die Ausbreitung von Schädlingen wie dem Borkenkäfer. Diese Entwicklungen erfordern neue Strategien im Waldmanagement, die im bestehenden Bundeswaldgesetz nicht erwähnt sind.
Neben dem Klimawandel ist der zunehmende Verlust der biologischen Vielfalt in Form von Artenvielfalt und Vielfalt der Lebensräume (Biodiversität) eine weitere Gefahr, die ein neues Bundeswaldgesetz berücksichtigen soll. Als Heimat vielfältiger Flora und Fauna sind die deutschen Wälder unverzichtbare Faktoren für den Erhalt von Pflanzen- und Tierarten.
Kontroverse um Bundeswaldgesetz-Entwurf (2023-2024)
Die Debatte um die Reform des Bundeswaldgesetzes nahm im November 2023 an Fahrt auf, als ein geleakter Referenten-Entwurf aus dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) bekannt wurde. Dieser Entwurf zur BWaldG-Novelle entfachte heftige Diskussionen: Während Naturschutzverbände in einem gemeinsamen Statement für mehr gesetzlich verankerte Pflichten der Waldbesitzer zum Schutz der Wälder plädierten, warnten Interessenvertreter der Waldbesitzer vor einer Überregulierung, die ihre Existenz gefährden könnte.
Im Juni 2024 wurde ein überarbeiteter Entwurf vorgestellt, der einige Bedenken adressierte. Agrar-Staatssekretärin Claudia Müller bestätigte am 26. Juni beim Sommerempfang der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Waldbesitzerverbände (AGDW), dass der neue Entwurf keinen Straftatbestand mehr vorsieht, sondern nur noch Ordnungswidrigkeiten. Als übergeordnetes Ziel wurde demnach nun der Walderhalt definiert, dem die Aspekte Ökologie, Erholung und Waldwirtschaft gleichrangig untergeordnet sind. Bemerkenswert ist dabei, dass die Definition der ordnungsgemäßen Forstwirtschaft weiterhin den Ländern überlassen werden soll (Quelle: Bayrisches Landwirtschaftliches Wochenblatt, 27.06.24).
Mögliche Auswirkungen einer BWaldG-Reform auf die Landeswaldgesetze
Eine Reform des Bundeswaldgesetzes hätte direkte Auswirkungen auf die Landeswaldgesetze, einschließlich des Landeswaldgesetzes Baden-Württemberg. Eine Novellierung in Form eines Vollgesetzes könnte dazu führen, dass den Ländern nur noch geringe Spielräume bleiben, um regionale Besonderheiten zu würdigen. Die Vorgaben des Bundes könnten beispielsweise
- strengere Auflagen zum Klimaschutz,
- detailliertere Regelungen zur naturnahen Waldbewirtschaftung oder
- neue Fördermaßnahmen für Waldbesitzer
beinhalten.
Gleichzeitig bietet eine Reform die Chance, regionale Besonderheiten und Erfahrungen in den Gesetzgebungsprozess einzubringen und so die Landeswaldgesetze noch gezielter auf die spezifischen Herausforderungen und Bedürfnisse der verschiedenen deutschen Wälder abzustimmen.
Im Landeswaldgesetz Baden-Württemberg sind beispielsweise Aspekte wie Klimawandel und Biodiversitätskrise ausdrücklich im Paragrafen 1 erwähnt:
Zweck dieses [Landeswaldgesetzes für Baden-Württemberg] ist […] den Wald wegen seines wirtschaftlichen Nutzens (Nutzfunktion) und wegen seiner Bedeutung für die Umwelt, insbesondere für die dauernde Leistungsfähigkeit des Naturhaushalts, das Klima, den Wasserhaushalt, die Reinhaltung der Luft, die Bodenfruchtbarkeit, die Tier- und Pflanzenwelt, das Landschaftsbild, die Agrar- und Infrastruktur und die Erholung der Bevölkerung (Schutz- und Erholungsfunktion) zu erhalten, erforderlichenfalls zu mehren und seine ordnungsgemäße Bewirtschaftung nachhaltig zu sichern; Leitbild hierfür ist die nachhaltige, naturnahe und klimaangepasste Waldbewirtschaftung zur dauerhaften Erfüllung der Waldfunktionen, auch unter den Bedingungen des voranschreitenden Klimawandels […]
Quelle: Waldgesetz für Baden-Württemberg, § 1 Gesetzeszweck
Novelle oder Status quo? Die Position des Landeswaldverbands
Der Landeswaldverband vereint Fachleute aus der Praxis, die den Wald über alle seine Phasen seiner Entwicklung begleiten. Deshalb stehen die Gesundheit und Zukunftsfähigkeit der Wälder Baden-Württembergs für unsere Mitgliedsvereine an erster Stelle.
Eine wichtige Leitplanke für unsere Position ist zudem der Wissenschaftliche Beirat für Waldpolitik im BMEL. Im Jahr 2021 veröffentlichte dieser ein Gutachten mit dem Titel „Die Anpassung von Wäldern und Waldwirtschaft an den Klimawandel“, dessen Kernthesen wir unterstützen. Aus diesen und der Praxiserfahrung unserer Mitglieder ergeben sich für uns die nachfolgenden Kernpunkte. Unsere Forderungen zum Bundeswaldgesetz sind unter unseren Positionen zudem noch einmal ausführlich aufgeführt.
1. Klare Ziele, flexibles Vorgehen
Unsere Wälder sind Lebensräume für eine Vielzahl von Lebewesen, für die wir Verantwortung tragen. Die Biodiversitätskrise und der Klimawandel stellen uns vor Herausforderungen, die schwer abzuschätzen sind. Für die Waldbewirtschafter ist es eine Zeit großer Verunsicherung und hoher Investitionen und Verluste. Gleichzeitig steigen die Ansprüche der Gesellschaft an die Wälder ständig. Deshalb muss ein modernes Bundeswaldgesetz Ökologie, Ökonomie und soziale Leistungen des Waldes gleichberechtigt zusammenführen – und den Experten aus der Praxis den nötigen Spielraum zum Erreichen dieser Ziele lassen.
2. Heimische Wälder für eine nachhaltige Wirtschaft
Baden-Württemberg setzt seit vier Jahrzehnten auf eine nachhaltige, naturnahe Waldbewirtschaftung – die unsere Gesellschaft auf dem Weg hin zu einer nachhaltigen und klimaneutralen Wirtschaft unterstützt. Holz, der vielseitigste nachwachsende und unter den höchsten ökologischen Standards produzierte Rohstoff unserer Zeit, bildet die Basis einer noch jungen Bioökonomie. Durch eine verantwortungsvolle Holznutzung möchten wir einerseits die Gesundheit und Produktivität unserer Waldökosysteme sichern und andererseits die Bedürfnisse der Gesellschaft erfüllen.
3. Waldwirtschaft fördern, in die Zukunft investieren
Wir setzen uns für eine Waldpolitik auf Augenhöhe mit den Waldbewirtschaftern ein, die auf Zusammenarbeit und Dialog zwischen allen Beteiligten setzt. Dazu gehört auch die gezielte Unterstützung der Waldakteure, damit diese ihre Wälder fit für die Herausforderungen der Zukunft machen können. Denn nur durch gemeinsame Anstrengungen werden wir langfristig die Gesundheit und Funktionsfähigkeit unserer Wälder erhalten. Die Förderung ist dabei das wichtigste Anreizinstrument für die Schaffung klimaresilienter Wälder.
Ausblick: Kommt ein neues Bundeswaldgesetz?
Die Zukunft der Bundeswaldgesetz-Novelle hängt maßgeblich von der Durchsetzungskraft der aktuellen Ampel-Regierung ab. Der Aushandlungsprozess ist komplex, da verschiedene Waldakteure und Interessenvertreter beteiligt sind, deren Positionen teils stark auseinandergehen. Doch selbst wenn die Reform nicht oder lediglich verzögert kommt, wurde sie in Baden-Württemberg bereits von der Praxis überholt: Forstleute und Waldakteure sind für die grundsätzlichen Herausforderungen des Klimawandels sensibilisiert und handeln entsprechend.
Darüber hinaus macht das im Juni 2024 beschlossene Nature Restoration Law (Naturwiederherstellungsgesetz) auf europäischer Ebene umfangreiche Vorgaben, die die Waldbewirtschaftung unweigerlich beeinflussen werden. Gefordert ist die Erfassung zahlreicher Indikatoren für intakte Waldlebensräume im gesamten deutschen Wald, über die im sechsjährigen Rhythmus berichtet wird. Diese EU-Richtlinie könnte unter Umständen als Katalysator für nationale Gesetzesanpassungen wirken, da der Bund als Ganzes gegenüber der EU-Kommission Rechenschaft ablegen muss und deshalb an einer möglichst einheitlichen Erfassung von Kennzahlen interessiert ist.
Ein Blick nach Österreich zeigt, wie eine zeitgemäße Anpassung des Forstgesetzes aussehen kann: Der österreichische Nationalrat hat bereits am 19.10.2023 eine Forstgesetz-Novelle verabschiedet. Ziel dieser ist es, die Resilienz der österreichischen Wälder gegen die Auswirkungen des Klimawandels zu erhöhen. Dabei spielt sicherlich eine Rolle, dass Bedeutung der Wälder – beispielsweise als Schutzwälder für Ortschaften – in unserem Nachbarland für viele Menschen offensichtlich ist. Mit einer Waldfläche von fast 50 Prozent der Staatsfläche (im Vergleich zu etwa 32 Prozent in Deutschland) hat Österreich beim Schutz seiner Natur hier besonders dringenden Handlungsbedarf erkannt.
Der Wald ist in guten Händen
Unabhängig vom Ausgang der geplanten Bundeswaldgesetz-Reform in Deutschland bleibt klar: Der Wald ist in guten Händen. Forstwissenschaft, Waldbesitz und Naturschutz arbeiten gemeinsam daran, unsere Wälder fit für das Jahr 2100 zu machen. Die Herausforderungen des Klimawandels erfordern flexible und nachhaltig wirkende Lösungen, die möglicherweise über den Rahmen einer Gesetzesnovelle hinausgehen. Die kommenden Monate und Jahre werden zeigen, ob und wie das Bundeswaldgesetz angepasst wird, um diesen Anforderungen gerecht zu werden.