Positionen

Bei 10% Prozessschutz ist Schluss!

Prozessschutz überlässt Waldentwicklung dem Zufall – zulasten anderer Waldfunktionen

Das qualitätsunabhängige Flächenziel von 10% Prozessschutzgebieten im Staatswald von Baden-Württemberg ist nahezu erreicht. Mit der Erweiterung des Nationalparks Schwarzwald und der Ausweisung einer Kernzone im angestrebten Biosphärengebiet Oberschwaben kommen noch einmal bedeutende Großflächen dazu. Es wird Zeit, den Sack zuzumachen!

Der großzügige Griff ins Kontor der Staatswaldflächen ermöglicht es der Landesregierung, auf annähernd 30.000 ha Wald segregativ und mit einer schematischen Bewertung ökologischer Potenziale die Natur sich selbst zu überlassen. Andere Waldfunktionen, wie Nutzung, Schutz und Erholung werden dort dann entweder nicht mehr oder nur noch zufällig erbracht und auf andere Flächen verlagert. Deshalb muss bei 10% Schluss sein!

Alter Eichenwald Prozessschutz

Prozessschutz ja! – unter Berücksichtigung ökologischer Potenziale

Dass es grundsätzlich Waldflächen im Land geben muss, die sich ohne menschlichen Einfluss entwickeln können, halten wir für richtig und wichtig. Wir können es uns in Baden-Württemberg leisten, 10% des Staatswaldes vor menschlichen Eingriffen zu schützen. Kritisch sehen wir allerdings die Behauptung, ungenutzte Wälder seien an sich ökologisch besonders wertvoll oder dass der ökologische Wert eines Waldes durch die Ausweisung von Prozessschutzflächen steigt.

Mit diesen Aussagen wird grundsätzlich ein positives Ergebnis vorweggenommen, während mit dem Prozessschutz eine Strategie angewendet wird, die ergebnisoffen ist. Prozessschutz im Wald bedeutet Entwicklung ohne Ziel. Es geht ja beim Prozessschutz gerade darum keine bestimmten ökologischen Zustände anzustreben, sondern es den natürlichen Prozessen ohne Einwirken des Menschen zu überlassen, welche ökologischen Zustände sich einstellen.

Anders ausgedrückt: Wald im Prozessschutz erschafft nicht zwangsläufig ein besseres Ökosystem. Ob ökologischer Mehrwert geschaffen wird, bleibt dem Zufall überlassen. Dass Wälder unter Prozessschutz klimaresilienter sind, ist ebenfalls nicht zu belegen und spiegelt bestenfalls die Hoffnung wider, dass es die Natur schon richten wird.

Prozessschutz für die Waldforschung – darf es noch ein bisschen mehr sein?

Mit Sicherheit profitiert die waldwissenschaftliche Forschung von den systematisch ausgewählten Referenzflächen im Staatswald mit ihren unterschiedlichen Waldgesellschaften in den vielfältigen Klimazonen des Landes. Diese durch Modelle der FVA hergeleiteten Prozessschutzflächen bilden einen echten Mehrwert für die Wissenschaft. Wir alle werden von der Natur lernen können, wie sich Wälder langfristig an den Klimawandel anpassen. Für diese Forschung hätten allerdings weit weniger als 10% der Staatswaldfläche genügt.

5% Wald unter Prozessschutz landesweit – Es fehlt ein Angebot der Landesregierung an kommunale und private Waldbesitzer

Der Staatswald wird seinen Beitrag demnächst geleistet haben. Wir sind gespannt darauf, welche Angebote die Landesregierung den Kommunen und Privatwaldbesitzern machen wird, um das angestrebte Ziel von 5% Waldflächen unter Prozessschutz im Land zu erreichen.

Außerhalb des Staatswaldes liegen noch unausgeschöpfte Flächenpotenziale brach, für die es langfristige und verlässliche staatliche Förderprogramme braucht. Denn im Gegensatz zum Land können Kommunen und Privatleute in der Regel nicht auf ihre
Einnahmen aus der Waldbewirtschaftung verzichten. Ein vereinfachtes, langfristiges Vertragsnaturschutzverfahren in Form eines Honorierungssystems für Ökosystemleistungen ist die beste Voraussetzung für Waldbesitzer, einen Teil ihrer Wälder dem Prozessschutz zu widmen.

Offenland unter Prozessschutz ist der Naturwald von morgen

Die Prozessschutzflächen werden generell nur dort ausgewiesen, wo bereits Wald vorhanden ist. Zur Begründung wird darauf verwiesen, dass in Wirtschaftswäldern die Reifephase und Zerfallsphase quasi nicht abgebildet sind. Das stimmt, da in Wirtschaftswäldern vorwiegend junge und gesunde Bäume bewirtschaftet werden. Prozessschutz in alten Wirtschaftswäldern wirkt somit besonders attraktiv, da ein zeitnahes Eintreten in die Zerfallsphase zu erwarten ist.

Allerdings startet dieser Prozessschutz fast ausnahmslos in einem vom Menschen gestalteten Wald. Was leider im größeren Maßstab fehlt sind Prozessschutzflächen außerhalb von Wäldern, die eine bisher unberücksichtigte, aber wichtige Phase im Lebenszyklus von Wäldern darstellen: Sukzessionsflächen. Das ist Offenland, auf dem Wald von Null an starten kann.

Wir fordern daher eine wissenschaftlich begleitete Potenzialanalyse für Offenlandflächen, die unter Prozessschutz gestellt werden können. Es ist wahrscheinlich, dass natürliche Prozesse dort eine Waldentwicklung ohne menschlichen Einfluss begünstigen.

Weiterführende Informationen

Lesen Sie mehr dazu, wie die Priorisierung für die Neuausweisung von Prozessschutzflächen im Staatswald durch die FVA hergeleitet wurde.

Der Landeswaldverband hatte gefordert, Waldflächen zu erhalten und zu mehren.

Die Pressemitteilung des Ministeriums für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft zur Erweiterung des Nationalparks Schwarzwald.

Sozialminister Manfred Lucha MdL äußert sich zur geplanten Ausweisung eines Biosphärengebiets in Oberschwaben.

Die Position des LWV zum Herunterladen

Das Positionspapier zum Herunterladen im PDF-Format

Beitragsbild: Alter Eichenwald, Foto von J. Niedermayer (Pjoernrachzarck)